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REZENSION/732: Margaret Kimberley - Prejudential (SB)


Margaret Kimberley


Prejudential - Black America and the Presidents



Im Frühling 2020 stürzte die Ermordung des schwarzen Türstehers George Floyd durch einen weißen Polizisten die USA in eine regelrechte Sinnkrise. Die auf allen Fernsehkanälen zu sehende Videoaufnahme, wie der staatliche Ordnungshüter Derek Chauvin fast acht Minuten lang auf dem Hals des am Boden liegenden Floyd kniet, ihm langsam aber sicher das Leben ausquetscht und dessen verzweifelte Schreie, "Ich kann nicht atmen", schlicht ignoriert, hat eine ganze Gesellschaft - hartgesottene Klu-Klux-Klan-Mitglieder und Neonazis ausgenommen - schockiert. Mehr als jeder andere prominente Polizeimord an einem Afroamerikaner in den letzten Jahren wie der an Michael Brown, Eric Garner oder dem 12jährigen Tamir Rice und sogar mehr noch als die überraschende Wahl des rassistischen Hetzredners Donald Trump zum Präsidenten 2016 hat die massenmediale Hinrichtung George Floyds am hellichten Tag auf offener Straße in Minneapolis die These vom post-rassistischen Zeitalter, das die zwei Amtszeiten Barack Obamas als erstes schwarzes Staatsoberhaupt der USA (2009-2017) eingeleitet hatte, endgültig als Fata morgana entlarvt.

Die Bewegung Black Lives Matter (BLM), die seit 2013 die extrem überproportionale Tötung von Bürgern schwarzer Hautfarbe infolge Polizeigewalt anprangert, erfuhr deshalb enormen Auftrieb und so führte sie den ganzen Sommer über Protestaktionen in allen Großstädten der USA durch. Es kam zu den größten Massendemonstrationen gegen Diskriminierung aufgrund der Hautfarbe, die Amerika seit dem tödlichen Attentat auf den Bürgerrechtler und Friedensnobelpreisträger Dr. Martin Luther King jun. im April 1968 gesehen hatte.

Das bisherige Scheitern der USA, dem in der Präambel der eigenen Verfassung verbrieften Anspruch, ihren "Bund zu vervollkommnen" - wörtlich "to form a more perfect Union" - gerecht zu werden, hängt nicht zuletzt mit der konsequenten Weigerung weiter Bevölkerungsteile zusammen, sich mit der eigenen Geschichte, speziell den weniger ruhmreichen Kapiteln, auseinanderzusetzen und daraus die nötigen Lehren zu ziehen, statt sie zu verklären und zu mythologisieren. Einen wichtigen Beitrag zur amerikanischen Geschichtsaufklärung hat jedoch Margaret Kimberley mit ihrem Buch "Prejudential - Black America and the Presidents" geleistet. Den Kunstbegriff am Titelanfang findet man in keinem Wörterbuch, denn er ist eine kreative Verschmelzung aus prejudice (Vorurteil) und presidential (präsidial), die auf den Inhalt des Buchs, die mehr als 200 Jahre rassistischer Benachteiligung schwarzer Menschen in den USA durch die Amtszeiten aller 45 Staatsoberhäupter hindurch, hinweist. (Das Werk ist vor der Wahl Joe Bidens zum 46. Präsidenten im vergangenen November erschienen).

Kimberley ist Redakteurin der in linken Kreisen hochangesehenen Onlinezeitschrift Black Agenda Report, wo ihre wöchentliche Kolumne "Freedom Rider" erscheint. [1] Als erklärte Kriegsgegnerin sitzt die New Yorkerin zudem im Vorstand der amerikanischen Friedensorganisation "Black Alliance for Peace" und nimmt in dieser Funktion national und international an Konferenzen und Workshops teil. [2] Mit ihrem besonderen Gefühl für die Stimmung unter den schwarzen Mitbrüdern und -schwestern in den USA und ihrem nüchternen, realistischen Einblick in die äußerst angespannten innenpolitischen Verhältnisse im "Land der unbegrenzten Möglichkeiten" war Kimberley im vergangenen Jahr häufig Gesprächspartnerin in den Nachrichtensendungen namhafter Fernseh- und Radiostationen weltweit.

Eine wichtige Forderung der BLM-Bewegung ist die schonungslose Aufarbeitung der Geschichte der Sklaverei und der Unterdrückung der Schwarzen in den USA. Als Anti-Rassismus-Aktivisten im August 2017 in Charlottsville im "Südstaat" North Carolina öffentlich zur Demontage bzw. Verlegung einer Reiterstatue General Robert E. Lees, des größten Bürgerkriegshelden der Konföderierten, aufriefen, wurden sie von bewaffneten Rechtsextremisten angegriffen. Im Verlauf der heftigen Auseinandersetzung wurde eine junge Frau tödlich verletzt, als ein rechter Rowdy in voller Absicht sein Auto mit hoher Geschwindigkeit in eine Menge politischer Gegner fuhr. Anschließend goß Trump mit der Behauptung weiteres Öl ins Feuer, auf beiden Seiten des Streits von Charlottesville hätten "gute Menschen" gestanden. Desweiteren sprach er sich gegen die Entfernung der Lee-Statue mit dem Hinweis aus, George Washington und Thomas Jefferson seien Sklavenhalter gewesen; käme man der Forderung der "politisch korrekten" Geschichtsrevisionisten nach, müßten auch die Namen und Abbildungen der meisten Gründerväter überall im Lande entfernt werden, was vollkommen indiskutabel sei, so der windige New Yorker Baulöwe.

Margaret Kimberley hat den damals von Trump rhetorisch hingeworfenen Fehdehandschuh aufgenommen, frühere Zeitdokumente ausgewertet und legt in ihrem Buch erschütternde Beweise für die Verstrickung aller US-Präsidenten in das grausame System der Unterdrückung und Benachteiligung der eigenen schwarzen Mitbürger vor. In den 45 Kapiteln - eines für jeden Präsidenten - geht die Autorin weit über die bekannten Details der Sklaverei, der schrecklichen Jim-Crow-Ära im Süden nach dem Ende des Bürgerkriegs, der Bürgerrechtsbewegung ab 1945 sowie des anschließenden Backlashs seitens der weißen Mehrheitsbevölkerung, der sich durch die "Southern Strategy" der Republikaner unter Richard Nixon und den Einsatz des "Antidrogenkriegs" zum Zwecke der Unterdrückung und Entrechtung vor allem der schwarzen männlichen Jugend in den USA manifestiert hat, hinaus. Der letztgenannte perfide Akt des "social engineering" hat dazu geführt, daß Amerika mit Abstand die pro Kopf meisten Gefängnisinsassen weltweit aufweist, unter denen sich überproportional viele Afroamerikaner befinden. Statt wie einst auf der Baumwollplantage schuften heute unter sklavenähnlichen Bedingungen Hunderttausende schwarze US-Bürger hinter Gefängnisgittern für irgendwelche Großkonzerne.

Die nationale Geschichte der USA durch die schwarze Perspektive zu betrachten ist wahrlich erschütternd. Gemeint sind weniger häßliche Skurrilitäten wie zum Beispiel, daß sich George Washington seine kaputten Zähne durch jene seiner Leibeigenen ersetzen ließ oder daß sich Woodrow Wilson 1917 Regisseur D. W. Griffiths umstrittenes cineastisches Meisterwerk "The Birth of a Nation", eine unverhohlene Homage an die Wiederherstellung der "Antebellum"-Verhältnisse nach 1865 durch die weißen Kapuzenträger des Klans, kurz nach Erscheinen des Films seinen Freunden im Weißen Haus vorführte, als vielmehr die nachhaltigen Auswirkungen des einstigen Interessenausgleichs zwischen dem industriell geprägten Norden und der "Slaveocracy" des Südens, die bis heute zu spüren sind.

Um die Vorherrschaft der weißen Elite vor dem Aufbegehren der schwarzen Unterschicht und sonstigen Minderprivilegierten zu schützen, schreibt die US-Verfassung zwei Senatoren pro Bundesstaat - völlig unabhängig von der Bevölkerungszahl - vor. Dadurch werden ländlich geprägte Gliedstaaten mit meist weißer Bevölkerung massiv bevorteilt. Aus ähnlichen Gründen stimmen die US-Bürger all vier Jahre nicht über den Präsidenten, sondern die Zusammensetzung der Abordnung aus dem eigenen Bundesstaat zum Wahlmännergremium in Washington ab, das letztlich die Entscheidung über die Besetzung des Weißen Hauses fällt. Hinzu kommen die undurchsichtige Praxis der Vergabe von Richterposten, der ungerechte Zuschnitt zahlreicher Wahlkreise und die unzähligen Winkelzüge, mittels derer bis heute arme und vor allem schwarze Menschen um die Ausübung ihres Wahlrechts gebracht werden, wie sie unter dem Begriff "voter supression" subsumiert werden.

Margaret Kimberleys präsidiale Geschichte der USA unter besonderer Berücksichtigung der Rassenproblematik ist extrem kurzweilig, sehr gut geschrieben und äußerst lehrreich. Auch diejenigen, die sich in der amerikanischen Geschichte gut auskennen, werden voll auf ihre Kosten kommen, so detailreich ist die vorliegende Lektüre. Aktuell zeichnet sich die US-Gesellschaft durch eine außergewöhnliche Polarisierung aus, die ihren bisherigen Höhepunkt in der blutigen Erstürmung des Kapitols durch aufgebrachte Anhänger des scheidenden US-Präsidenten Trump am 6. Januar gefunden hat. Diese Polarisierung hat tiefgreifende Wurzeln, die ohne Zweifel in der Rassenfrage gründen. Wer die geschichtliche Kontinuität der Spannungen zwischen Demokraten und Republikanern, Norden gegen Süden, rassengemischten Stadtbewohnern an den Küsten und "arischem" Landvolk im Innern und vieles mehr besser verstehen will, dem sei "Prejudential" wärmstens empfohlen.


Fußnoten:

[1] INTERVIEW/195: Obamas Amerika - Linke Horizonte, Margaret Kimberley im Gespräch (SB)

http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prin0195.html

[2] INTERVIEW/426: Treff für den Frieden - die schwarze Stimme ... Margaret Kimberley im Gespräch (SB)

http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prin0426.html

1. Februar 2021


Margaret Kimberley
Permanent Record - Meine Geschichte
Prejudential - Black America and the Presidents (EPUB)
Steerforth Press, Lebanon, New Hampshire, 2020
Größe: 7,7 MB
ISBN: 978-1-586422493


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