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MEMORIAL/231: 120.000 italienische Soldaten marschierten 1942 an der Ostfront in den Tod (Gerhard Feldbauer)


Das Schicksal der Armata Italiana in Russland

120.000 italienische Soldaten marschierten an der Seite der Hitlerwehrmacht in den Tod

Putin warnt neue Ostlandreiter

von Gerhard Feldbauer, 26. Juni 2021


Nach dem Überfall Hitlerdeutschlands auf die UdSSR am 22. Juni 1941 setzte Italiens faschistischer Diktator Mussolini bereits vier Tage später zur Unterstützung der Wehrmacht ein Expeditionskorps an die Ostfront in Marsch. Es bestand zunächst aus drei Divisionen der 8. Italienischen Armee und erhielt die Bezeichnung Corpo di spedizione italiano in Russia - CSIR (Italienisches Expeditionskorps in Russland). Insgesamt zählte das Korps 62.000 Mann, darunter eine Abteilung von 600 Schwarzhemden (der italienischen SS).


Foto: Unknown author, Public domain, via Wikimedia Commons

Motorisierte Gebirgsjäger (Bersaglieri) der italienischen Armee in der Sowjetunion im Einsatz
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Die Wehrmacht erlitt in der Schlacht vor Moskau und beim Vormarsch auf Stalingrad Verluste von 1,1 Millionen Menschen - Gefallene und Vermisste. Allein bei der Heeresgruppe Mitte waren Ende Dezember 1941 23 Infanterie-, 11 Panzer- und vier motorisierte Divisionen nicht mehr einsatzbereit. Hitler forderte zur Ersatz der deutschen Verluste 20 weitere italienische Divisionen. Mussolini kam dem jedoch nur mit der Verschickung von acht weiteren, darunter zwei Bersaglieri (Gebirgsjäger)-Divisionen, aus dem Bestand der 8. Armee nach. Im Vergleich mit Ungarn, das 800.000 Soldaten schickte und Rumänien mit 500.000 fiel Italiens Hilfstruppe geringer aus. Das so aufgestockte Expeditionskorps wurde in Armata Italiana in Russia (ARMIR) umbenannt. Diese Armee war auch unzureichend motorisiert, verfügte über keine modernen Panzerverbände, nur 19 leichte Panzerwagen, besaß knapp 900 Geschütze, 52 Flugzeugabwehrkanonen, 300 Panzerabwehrkanonen und 64 Flugzeuge. Aus deutschen Beständen wurden ihr 54 Panzerabwehrkanonen zugeteilt. Wie den Wehrmachtsverbänden fehlte auch den Italienern eine ausreichende Winterausrüstung.

Der "Duce" war Hitlers Forderung nur widerwillig gefolgt, denn die Kriegsziele waren unterschiedlich. Während es dem "Führer" vor allem um die Eroberung von "Lebensraum im Osten" ging, war Mussolinis Ziel die Vorherrschaft Italiens im Mittelmeerraum und die Eroberung von Kolonien in Afrika. Mit dem deutschen Einmarsch am 12. März 1938 in Wien waren die Beziehungen schwer belastet worden. Denn Mussolini hatte Österreich als Sprungbrett für seine Einflusssphäre, den Balkan, betrachtet. Danach hatte er eine Teilnahme am Krieg gegen Polen abgelehnt. Aber in dem am 22. Mai 1939 unterzeichneten "Freundschafts- und Bündnisvertrag", dem "Stahlpakt", hatte sich Italien - ganz gleich aus welchen Gründen - zum gegenseitigen Beistand bei "kriegerischen Verwicklungen mit einer anderen Macht" verpflichtet. Zwar hatte Mussolini in einer Note geltend gemacht, militärische Konflikte in Europa bis 1943 unbedingt zu vermeiden, da Italien darauf nicht vorbereitet sei. Hitler hatte das, wie bereits beim Überfall auf Polen und danach gegen Frankreich, nicht von seinen Zeitplänen abgehalten.


Mussolini für ein "neues Brest-Litowsk"

Mussolini beschlichen bereits zu dieser Zeit Zweifel am Sieg der Wehrmacht im Osten. Am 1. Dezember 1942 äußerte er gegenüber Göring bei dessen Besuch in Rom, "dass auf die eine oder andere Weise das Kapitel des Krieges gegen Russland, der keinen Zweck mehr hat, abgeschlossen werden müsse", um Kräfte für den Kampf gegen die Anglo-Amerikaner im Westen und im Mittelmeerraum zu gewinnen. Sein Schwiegersohn, Außenminister Graf Ciano, der am 18./19. Dezember ins Führerhauptquartier "Wolfsschanze" flog, übermittelte Hitler den Standpunkt des "Duce", ob es zur Vermeidung eines Zwei-Frontenkrieges nicht möglich sei, mit Russland zu einer Lösung der Art "neuer Brest-Litowsk-Friede" zu kommen. Hitler entgegnete, das strategische Hauptziel bleibe, den "bolschewistischen Koloss zu zerschlagen". [1] Mussolini fügte sich und so ging die ARMIR ihrem Schicksal entgegen.


Foto: Unknown author, Public domain, via Wikimedia Commons

Italienische Soldaten in Stalino im Jahr 1941
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Bei Stalino wurde der ARMIR entlang des Don zwischen Satellitentruppen aus Ungarn und Rumänien im Bestand der deutschen Heeresgruppe B ein 270 Kilometer breiter Frontabschnitt zugewiesen. Er war ein für ihre Personalstärke viel zu breiter Abschnitt, auch dann noch, als die Bersaglieri nicht im Kaukasus eingesetzt wurden, sondern am Don verblieben.


Ritt in den Tod

Hier traf die Verbände der ARMIR die volle Wucht der am 19. November 1942 zur Entlastung der Front um Stalingrad einsetzenden Offensive der Roten Armee. Bis zum 22. Dezember wurden die Italiener zusammen mit deutschen und ungarischen Truppen bei eisiger Kälte in die verschneite Donezsteppe getrieben und eingekesselt. Dabei ließ das deutsche Kommando die Satellitenverbände in den vordersten Stellungen "die ersten Schläge" auffangen. [2] Bis Ende Januar 1943 wurden elf faschistische Divisionen, darunter die meisten italienischen Verbände, zerschlagen. Von 229.000 Mann bezahlten rund 120.000 italienische Soldaten und 4.300 Offiziere den Marsch nach Osten mit dem Tod. Bis auf ein paar Tausend Überlebende, die nach Italien zurückkehrten, geriet der Rest in Gefangenschaft. Die ARMIR hörte "faktisch auf zu bestehen". [3]

Während des Rückzuges in der verschneiten Steppe überließen die deutschen "Verbündeten" die Italiener erbarmungslos ihrem Schicksal, versagten ihnen "stets jegliche Hilfe, bemächtigten sich aller verfügbaren Kraftfahrzeuge, ließen unsere Verwundeten ohne Transportmittel, ohne Nahrungsmittel und ohne erforderliche Versorgung zurück", hieß es in einem Bericht des italienischen Generalstabes. Der Bericht, der unter Soldaten und Offizieren in Italien bekannt wurde, steigerte antideutsche Ressentiments, die aus dem Ersten Weltkrieg herrührten, als Italien vom Verbündeten Deutschland-Österreich-Ungarns auf die Seite der Entente wechselte. Das setzte sich in Berlin im Zweiten Weltkrieg fort, in dem die Italiener nie als "vollwertige" Verbündete angesehen wurden. Schon in dem von Rommel kommandierten deutsch-italienischen Afrika-Korps hatte, wie der renommierte Militär-Historiker Gerhard Schreiber einschätzte, gegenüber den Italienern ein "rassistischer Tenor" geherrscht, und für Rommel hatten die Italiener eben "kein Kriegsvolk" verkörpert. Dieser Rassismus steigerte sich, so Schreiber weiter, nach dem Sturz Mussolinis im Juli 1943 dazu, die Italiener als "esseri inferiori", als "niedere Wesen", zu diffamieren und den "Duce" als Chef dieses "lächerlichen, aufgeblasenen italienischen Imperialismus" zu titulieren. Die von Hitler ausgehende Legendenbildung, "dem Achsenpartner die Schuld am Verlust des Ostfeldzuges" zu geben, begann bereits nach den italienischen Niederlagen in Griechenland im Oktober 1940/März 1941 und setzte sich gegenüber der ARMIR fort, die von Beginn an als ein "lendenlahmer Bundesgenosse" gesehen wurde. [4]


Bruch mit der Achse

Das Schicksal der ARMIR trug dazu bei, dass Träger der faschistischen Diktatur in Italien (Industriekreise und Militärs) zu der Erkenntnis gelangten, dass in den Schlachten an Wolga und Don der Mythos von der "Unbesiegbarkeit" der Hitlerwehrmacht unterging und der Krieg nicht mehr zu gewinnen war. Nach Stalingrad folgte am 13. Mai 1943 bei Tunis die Kapitulation des 250.000 Mann starken Afrika-Korps. Nach der Landung der Alliierten am 9. Juli auf Sizilien stürzten die Palastverschwörer am 24./25. Juli Mussolini und bildeten unter Marschall Pietro Badoglio eine Regierung, die mit der Kapitulation am 8. September mit der faschistischen Achse brach und mit der Kriegserklärung an Hitlerdeutschland am 13. Oktober 1943 auf die Seite der Antihitlerkoalition übertrat.


Foto: Unknown author, Public domain, via Wikimedia Commons

Italienische Soldaten auf dem Rückzug durch die Donezsteppe
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Eine Warnung
229.000 Soldaten waren es, die Italiens faschistischer Diktator Mussolini 1941 an der Seite der Hitlerwehrmacht an den Don schickte. Noch bevor die Reste der 300.000 Mann zählenden 6. Armee von Generalfeldmarschall Paulus zwischen dem 31. Januar und dem 2. Februar 1943 im Kessel von Stalingrad kapitulierten, hatte diese Armata Italiana in Russia (ARMIR) dieses Schicksal bereits ereilt. Im November/Dezember 1942 war sie von der Roten Armee bei eisiger Kälte in die verschneite Donezsteppe getrieben, eingekesselt und danach größtenteils zerschlagen worden. Nur einige Tausend Überlebende kehrten nach Italien zurück. Die Niederlagen, die die Wehrmacht seit August 1942 in den Schlachten zwischen Don und Wolga erlitt, leiteten die Wende im Zweiten Weltkrieg ein. Das Ende am 8. Mai 1945 in Berlin ist bekannt. Es sollte den neuen Ostlandreitern, die in Washington und Brüssel, Berlin, Kiew und wo sonst sie noch, wie jetzt erst wieder mit "Defender-Europe 21", mit dem Säbel rasseln, eine Warnung sein. Russlands Antwort werde "schnell und hart sein", erklärte Präsident Putin kürzlich. Wer Russland provoziere, werde es "auf eine Art und Weise bereuen wie noch nie".
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Anmerkungen:

[1] Andreas Hillgruber: Von El Alamein bis Stalingrad, München 1964, S. 13 ff.

[2] Gerhard Förster, Heinz Helmert, Helmut Schnitter: Der Zweite Weltkrieg, Berlin/DDR 1972, S. 228 ff.

[3] Roberto Battaglia, Giuseppe Garritano: Der italienische Widerstandskampf 1943 bis 1945, Berlin/DDR 1964, S. 294.

[4] Schreiber: Deutsche Kriegsverbrechen in Italien, München 1996, S. 13 ff.

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Quelle:
© 2021 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 13. Juli 2021

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