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KRIEG/1794: NATO - erst sichern, dann was? ... (SB)



FCAS ist nicht eines unter vielen Rüstungsprojekten, sondern es ist das strategische Projekt im Bereich der militärischen Luftfahrt. Und ob wir in diesem Bereich in Zukunft auch eine europäische Souveränität gewährleisten können, entscheidet sich auch daran, ob dieses Projekt zum Erfolg führt. [...] Wir haben im Moment die Situation [...], dass das FCAS auch im Haushalt als Projekt der Bundeswehr abgebildet ist. Bis FCAS aber einen militärischen Nutzen erzielt, wird es noch Jahre, vielleicht Jahrzehnte hinweg dauern. Bis dahin sind viele Milliarden Euro an Forschung und Entwicklung notwendig und für mich wäre es wichtig, dieses Projekt jetzt einmal aus der reinen Finanzierungsverantwortung der Bundeswehr herauszunehmen und die ganzen Forschungs- und Entwicklungsausgaben über einen anderen Topf zu finanzieren, damit das nicht zu [...] Verdrängungseffekten in den Streitkräften führt.
CSU-Bundestagsabgeordneter Reinhard Brandl [1]


Mag auch der Vormarsch deutscher Soldatenstiefel nicht nur am Hindukusch arg aus dem Tritt gekommen sein, tut das den nach Weltgeltung strebenden Ambitionen eines eigenständigen Militarismus doch keinen Abbruch. Die ihrerseits schlingernde Wirtschaftshegemonie bedarf einer Unterfütterung mit Waffengewalt, deren Potential das letztgültige Argument in der Durchsetzung globalisierter Raubzüge bleibt. Wie die hiesige Exportwirtschaft die Europäische Union braucht, um in ihr und mit ihr zu wildern, bedarf die Bundeswehr der NATO, um im Schutz des Nordatlantischen Bündnisses nach eigenen Maßgaben in eine führende Position hineinzuwachsen. Sich zusammen mit Bündnispartnern, doch zugleich in Konkurrenz zu ihnen über andere herzumachen, ist zwangsläufig ein Vorhaben, dessen äußere und innere Widersprüche für heftige Unwuchten sorgen. Schienen diese noch vor wenigen Jahren eher randläufig und organisch auszusteuern zu sein, so eskalieren längst die Konflikte nicht nur mit den finalen Gegnern Russland und China, sondern auch innerhalb der EU und der NATO.

Die alles verschlingende Existenz- und Wirtschaftsweise treibt Zerstörungsprozesse voran, deren exponentiell wachsende Geschwindigkeit die Fristen dramatisch schrumpfen lässt, innerhalb derer sich der permanente Kriegszug in planbar anmutenden Etappen konzipieren ließ. Da nun eine Krise die andere jagt und kulminierend die Weltlage verschärft, zeichnet sich immer deutlicher ab, dass die multiple Krisenhaftigkeit nicht die Ausnahme ansonsten geordneter und kontinuierlicher Entwicklungsprozesse, sondern unter der Voraussetzung exzessiver Verstoffwechselung deren innerstes Wesen ist. Ein Haus niederzubrennen, um sich daran zu wärmen und geplünderte Beutestücke am Spieß zu braten, mag aus der Gewaltperspektive marodierender Banden wie eine höchst effektive und endlos ausbaufähige Überlebensstrategie anmuten. Aus Sicht ihrer zahllosen Opfer und deren zerstörten Auskommensmöglichkeiten stellt sich das zwangsläufig als Dauerzustand von Drangsalierung, Not und Vernichtung dar.

Die wegweisenden Strategiepapiere "Neue Macht. Neue Verantwortung" (2013) und "Weißbuch" (2016) sahen vor, dass die US-Amerikaner sukzessive aus dem Nahen Osten abziehen, um sich voll und ganz der Einkesselung Chinas zu widmen, während die Deutschen nachrücken und den Druck auf Russland und dessen Verbündete erhöhen. War das übermächtige Waffenarsenal der USA und deren Bereitschaft, unablässig Krieg in aller Welt zu führen, der Schutzschirm aufschließender deutscher Ambitionen, so sollte die Bundesrepublik Zug um Zug aus diesem Schatten heraustreten und den Sprung zur eigenständigen Militärmacht machen. Zugleich sollte der Aufbau einer europäischen Verteidigungsunion vorangetrieben und sogar eine europäische atomare Abschreckung organisiert werden.

Diese fließende Wachablösung wird konzeptionell weiterverfolgt, doch hat sich inzwischen der Mangel weltweit derart verschärft, dass die in solchen Verläufen nahezu unvermeidlich hervorbrechenden nationalistischen Rettungsversuche zu Lasten jeglicher Konkurrenz vielerorts präferiert werden. Die größte Wucht entwickelten dabei die USA, als sie unter der Trump-Regierung auf eine vorgezogene Eröffnung des Machtkampfs setzten, welcher der finalen Schlacht vorausgeht. Noch ist Washington dank seiner militärischen Übermacht in der Lage, allen anderen Regierungen seinen Willen aufzuzwingen oder zumindest enormen Druck aufzubauen.

Die auch der Bundesrepublik abverlangten höheren Aufwendungen für die Streitkräfte in Richtung des Zwei-Prozent-Ziels der NATO sind den Protagonisten deutscher Aufrüstung höchst willkommen. Sie können nun unter simuliertem Zähneknirschen und Verweis auf die Bündnisverpflichtungen kräftig nachlegen. Was aber eine sukzessive und geordnete Wachablösung betrifft, kann davon aus verschiedenen Gründen kaum noch die Rede sein. Von den erratischen Manövern der USA ganz abgesehen sind die zeitlichen Dimensionen und erhofften Kontinuitäten derart durcheinandergeraten, dass der hiesige Imperialismus taumelt, aber um so verbissener die Parade in Reih und Glied exerziert. So erfreulich der Sand im Getriebe der Kriegsmaschine anmuten mag, besteht doch nicht der geringste Anlass, ihre Vorhaben und Gefährlichkeit in Abrede zu stellen oder zu unterschätzen.

Denn die westlichen Mächte forcieren ihren ideologischen, ökonomischen und militärischen Druck insbesondere auf China. Im Trommelfeuer der Propaganda, unter Verhängung von Sanktionen, mittels Handelskrieg und waffenstarrenden Provokationen in der unmittelbaren Peripherie soll die aufstrebende östliche Weltmacht totgerüstet und in die Knie gezwungen werden, ehe sie den Vereinigten Staaten über den Kopf gewachsen ist und sie als Hegemon abgelöst hat. Deutschland und die EU würden das Feld gerne offenhalten, um transatlantisch zu marschieren, aber zugleich wirtschaftlich von der am schnellsten wachsenden Volkswirtschaft und deren riesigem Binnenmarkt zu profitieren. Doch die US-Regierung ist sich im Klaren darüber, dass die Uhr für sie tickt, und will nicht zulassen, dass die Europäer eigenständig erstarken, bis sie womöglich die Seiten wechseln. Deshalb drängt die US-Administration die Verbündeten mit brachialen Mitteln, Farbe zu bekennen und sich unverzüglich dem Feldzug anzuschließen. Volle Dominanz der USA oder Untergang lautet die Ratio Washingtons, eine andere Option gibt es nicht.


Strategieentwürfe deutscher Hegemonialmacht

Ein Strategiepapier des deutschen Verteidigungsministeriums von 2018 entwirft Szenarien für die gesellschaftliche Entwicklung und die daraus resultierenden Anforderungen an die Bundeswehr. Wie aus der "Strategischen Vorausschau 2040" hervorgeht, hält man ein Auseinanderbrechen der EU und eine Welt in zunehmendem Chaos in den nächsten Jahrzehnten für denkbar. In dem vertraulichen Dokument spielen die Streitkräfte durch, wie gesellschaftliche Trends und internationale Konflikte die deutsche Sicherheitspolitik in den nächsten Jahrzehnten beeinflussen könnten.

Die Studie geht in dem Szenario "Die EU im Zerfall und Deutschland im reaktiven Modus" von einer "multiplen Konfrontation" aus. Beschrieben wird eine Welt, in der die internationale Ordnung nach "Dekaden der Instabilität" erodiert, die Wertesysteme weltweit auseinanderdriften und die Globalisierung gestoppt ist: "Die EU-Erweiterung ist weitgehend aufgegeben, weitere Staaten haben die Gemeinschaft verlassen. Europa hat seine globale Wettbewerbsfähigkeit verloren." Und weiter: "Die zunehmend ungeordnete, zum Teil chaotische und konfliktträchtige Welt hat das sicherheitspolitische Umfeld Deutschlands und Europas dramatisch verändert." Die von Wissenschaftlern des Bundeswehrplanungamtes erstellten Simulationen stellen zwar ausdrücklich keine Prognosen dar, werden aber dennoch "mit dem Zeithorizont 2040" für "plausibel" erachtet.

Angesichts dieser möglichen Verwerfungen im europäischen Umfeld und in den globalen Bündnisstrukturen läuft die Quintessenz der strategischen Studie auf ein Szenario hinaus, in dem Deutschland auf sich allein gestellt seine Interessen durchzusetzen versucht und die Anstrengungen forciert, zu einer Hegemonialmacht aufzusteigen. Dem widerspricht keineswegs, dass die Bundesregierung bislang stets darauf gedrängt hat, die eigenständige europäische Militärstrategie im Gleichschritt mit den Bündnisverpflichtungen im Rahmen der NATO zu entwickeln und auszubauen. Der unerhörte Kraftakt, wie er nun auf die Tagesordnung gesetzt werden soll, kommt ohne die maximale Vernutzung der Raubkumpanen nicht aus, bis endlich die Stunde der neuen Führerschaft schlägt.


Kriegführung nach außen und innen

Diese Ambitionen, ökonomische Stärke mit entsprechender Waffengewalt zu verbinden, laufen auf eine zweifache Kriegführung hinaus. Zum einen soll eine aufgerüstete Bundeswehr befähigt werden, im eskalierenden Konkurrenzkampf um Einflußsphären, Rohstoffe, Handelswege und Absatzmärkte weltweit mitzumischen. Zum anderen wird der soziale Krieg gegen die eigene Bevölkerung massiv verschärft, da die Finanzierung der gewaltigen Rüstungsprojekte nur durch eine gravierende Umverteilung der Haushaltsmittel möglich wäre. Das ideologische Kernversprechen der deutschen Klassengesellschaft, selbst als subordinierter Mitläufer der Räuberbande allemal besser als jegliche Opfer der auswärtigen Raubzüge dazustehen, wird auf eine harte Probe gestellt.

Die unverzichtbare Beteiligung an den Herrschaftsverhältnissen auch da auszutarieren, wo der soziale Abstieg vom Gegenteil gesellschaftlicher Verheißungen zeugt und Widerstand aufbrechen könnte, nötigt der politischen Führung des Landes akrobatische Täuschungsmanöver ab. Die banale Rechnung, was all diese militärischen Vorhaben kosten werden und wer die Zeche am Ende bezahlen soll, bleibt gewissermaßen ein offenes Geheimnis, das durch zahllose Sprachregelungen, Fragmentierungen, Euphemismen und Auslassungen bis zu Unkenntlichkeit verzerrt und verschleiert wird. Eine breite antimilitaristische Bewegung war vorgestern und soll nie wieder erstarken, ein Brückenschlag ihrer verbliebenen Reste zu jungen Massenbewegungen wie etwa jener für Klimagerechtigkeit verhindert werden.

Alle Komponenten der Aufrüstung zusammenzudenken und zusammenzurechnen wird tunlichst vermieden, indem das Zwei-Prozent-Ziel der NATO, die Intervention in Afghanistan, Afrika und Nahost, die sogenannte Landesverteidigung gegen Russland und China oder gemeinsame europäische Rüstungsprojekte jeweils für sich diskutiert und gleichsam im Talkshowformat personifiziert und verwurstet werden. Dass die Gefahren wachsen, Deutschland nicht länger am Rand stehen solle, alle Truppenteile dringend Bedarf anmelden, Europa nicht in die Binsen gehen dürfe und man deshalb viel Geld in die Hand nehmen müsse, wird durchaus heftig debattiert, aber doch bitte im Tenor "unserer" Sicherheit und Freiheit, die eben ihren Preis habe, der dann doch im Ungefähren bleibt.


Krisen sind das Lebenselixier der Rüstungsbranche

Während Hiobsbotschaften vom drohenden Niedergang der Weltwirtschaft die Runde machen und selbst ein Ende der globalisierten Ökonomie mit katastrophalen Folgen als apokalyptisches Szenario nicht gänzlich ausgeschlossen wird, feiert eine Branche entgegen dem Trend Hochkonjunktur. Ist von einem kaum noch abzuwendenden Sturz der deutschen Konjunktur in die Rezession die Rede, so gilt das nicht für die Rüstungsindustrie, deren Nachfrage weltweit steigt. Krisen und Kriege sind ihr Geschäft, weshalb sie ein Ausblick auf die wachsenden Spannungen an zahlreichen Schauplätzen mit großer Zuversicht erfüllt, dass für sie goldene Zeiten angebrochen sind. Überall wächst die Furcht, im erbitterten Ringen um Einfluss und Ressourcen auf einem Planeten, den die sich auswachsende Klimakrise dramatisch verändert, den Kürzeren zu ziehen. In der menschheitsgeschichtlichen Entwicklung legte überlegene Waffengewalt stets das Fundament von Herrschaft und Dominanz, so dass Aufrüstung untrennbar mit einem bellizistischen Konkurrenzkampf verschränkt ist, in dem man niemals genug haben kann. Nachholbedarf heißt das Zauberwort, das mit der Drohung des Feindes argumentiert und die Essen der Rüstungsschmieden zur Weißglut erhitzt.

Drei Säulen sind es, auf denen das Himmelsstreben der einheimischen Produzenten von Kriegsgerät gründet. Zum ersten ist der wachsende Verteidigungshaushalt zu nennen, der in Annäherung an das zum Heilsversprechen glorifizierten Zwei-Prozent-Ziel der NATO enorme Zuwächse verspricht und auf eine Verdoppelung des Kriegsetats hinauslaufen dürfte. Als zweite Säule fungiert die Aufrüstung der EU unter deutsch-französischer Führung, die immens teure Projekte vorsieht, welche die beteiligten Konzerne auf Jahre hinaus großzügig alimentieren. Und drittens mischt die deutsche Sparte dank ihrer vielerorts begehrten Erzeugnisse in zahlreichen Ländern mit, wobei diverse Formen der Zusammenarbeit mit deren einheimischen Produzenten praktiziert und im Zweifelsfall auch deutsche Ausfuhrverbote durch auswärtige Tochterunternehmen umgangen werden.


Schulterschluss der Platzhirsche

Deutschland und Frankreich, nach dem Abgang der Briten die unangefochtenen Führungsmächte Europas, treiben den Ausbau einer eigenständigen europäischen Streitmacht voran. Nachdem sich London in der Vergangenheit unter Verweis auf die enge Partnerschaft mit Washington und den ausschließlichen Vorrang der NATO als Bremsklotz betätigt hatte, steht dem ambitionierten Vorhaben der Achse Berlin-Paris zumindest in dieser Hinsicht nichts mehr Wege. So sehr Donald Trumps "America first" das Gefüge des transatlantischen Bündnisses erschüttert hatte, reagieren Macron und Merkel mit ihren militärstrategischen Einlassungen zwar auf aktuelle geopolitische Verwerfungen, doch handelt es sich keineswegs um Weichenstellungen, die ad hoc getroffen werden. Der Auf- und Ausbau gesamteuropäischer Waffengewalt ist vielmehr ein langgehegtes Vorhaben, das seit Jahrzehnten geplant und seit Jahren realisiert wird, auch wenn die Umsetzung mit den ursprünglichen Zeitvorstellungen nicht Schritt halten kann.

Die Anfänge derartiger Überlegungen liegen weit in der Vergangenheit. So waren heutige EU-Mitgliedstaaten 1954 mit dem Versuch gescheitert, über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) eine Europa-Armee zu gründen. Danach war jahrzehntelang eine gemeinsame Verteidigungspolitik auf europäischer Ebene kein offizielles Thema mehr. Im Vertrag von Maastricht wurde 1992 die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU konstituiert. Aus verschiedenen Gründen wie der Neutralität einiger Mitgliedstaaten oder dem ungeklärten Verhältnis der EU zur NATO konnte die gemeinsame Verteidigung jedoch bisher kaum verwirklicht werden. Für die Durchführung europäischer Militärmissionen war man stets auf die NATO und somit auch auf die Mithilfe der USA angewiesen. Seit Anfang des Jahres 2000 wurde indessen immer wieder über den Aufbau einer europäischen Armee diskutiert und deren Realisierung gefordert.

Die Abhängigkeit von Washington soll durch die Stärkung der eigenen Fähigkeiten gemindert werden. Die Ende 2016 ins Leben gerufene Ständige Strukturierte Zusammenarbeit (Permanent Structured Cooperation - PESCO) gilt als erster Schritt hin zu einer weitgehend gemeinsamen Verteidigungspolitik der EU-Mitgliedsstaaten. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron forderte eine "echte europäische Armee", die zur Verteidigung gegen Russland und China unabdingbar sei. Bundeskanzlerin Angela Merkel unterstützte diese Pläne, wobei sie allerdings von einer "Vision" sprach, die sich in absehbarer Zeit kaum verwirklichen lassen dürfte. Beide wollen im Groben dasselbe, haben aber tendentiell unterschiedliche Vorstellungen hinsichtlich der Schrittfolge und des letztendlichen Ausmaßes der Entscheidungsmacht in Händen der EU.

Macron nahm anlässlich der Gedenkfeierlichkeiten zum 100. Jahrestag des Endes des Ersten Weltkriegs im November 2018 die Gelegenheit wahr, die Kriege von morgen ins Visier seines Feldherrnblicks zu nehmen. Er forderte abermals den Aufbau einer eigenständigen europäischen Armee, denn ohne eine "wahre europäische Armee" könnten sich die Europäer nicht verteidigen. Mit Blick auf "Russland, das an unseren Grenzen steht und das zur Bedrohung werden könnte", dürften sich die Europäer "nicht allein auf die USA verlassen". Macron begründete seine Forderung mit der Warnung vor "autoritären Mächten, die an den Grenzen Europas aufsteigen und die sich wieder bewaffnen". Europa müsse sich verteidigen "mit Blick auf China, auf Russland und sogar auf die USA", erweiterte er das Spektrum möglicher Aggressoren um die Führungsmacht der NATO. Der von US-Präsident Donald Trump angekündigte Rückzug aus dem INF-Abrüstungsvertrag mit Russland sei eine Gefahr für Europa, so der französische Staatschef: "Wer ist das Hauptopfer?", fragte Macron und gab selbst die Antwort: "Europa und seine Sicherheit."


Deutsch-französische Superwaffenträume

Die massive europäische Aufrüstung wurde von Merkel und Macron bereits 2017 in einer beiderseitigen Regierungserklärung vereinbart. Im Zentrum steht eine neue Generation von Flugobjekten, doch geht es auch um Kampfpanzer und Artilleriesysteme. So sollen bis 2035 neue Kampfpanzer produktionsreif sein und die Leopard 2 der Bundeswehr sowie die Leclerc-Panzer der französischen Armee ersetzen. Mit dem MGCS (Main Ground Combat System) soll ein Hightechsystem entwickelt werden, bei dem Robotik und Waffen wie Hochgeschwindigkeitsraketen eine entscheidende Rolle spielen. Dieses neue Waffensystem soll zum Standardpanzer in Europa werden, um die Vielzahl der Panzertypen abzuschaffen. Bei Krauss-Maffei Wegmann (KMW) rechnet man in den nächsten 25 bis 30 Jahren in Europa mit einem Bedarf von 5.000 Kampfpanzern im Wert von 75 Milliarden Euro. Aus diesem Grund sind KMW und der französische Hersteller Nexter bereits 2015 zur Firma KNDS fusioniert, um das neue System herzustellen. Mit im Boot ist auch der Kanonenhersteller Rheinmetall.

Für die Entwicklung der neuen Generation von Artilleriesystemen ist eine Projektstudie in Arbeit. Ziel ist es, ein Artilleriesystem herzustellen, das bis 2040 die Mörser und Mehrfachraketenwerfer der Bundeswehr ablösen soll. KMW schätzt das Umsatzvolumen für Artilleriesysteme in Europa bis 2050 auf 25 Milliarden Euro. Auch hier werden Nexter, KMW und Rheinmetall die Hersteller sein. Da bei solchen Großprojekten die ursprünglich veranschlagten Kosten in aller Regel explodieren, aber niemand die Notbremse ziehen will, können die Rüstungsschmieden vermutlich mit noch höheren Umsätzen rechnen, die letzten Endes aus dem Steueraufkommen der Staaten finanziert werden.

So milliardenschwer diese Systeme sein mögen, sind sie doch wiederum nur ein Teil der unter deutsch-französischer Führung forcierten Militarisierung der EU. Eine gemeinsame Kriegskasse soll eingerichtet werden, über eine EU-Armee wird diskutiert, und die "Ständige Strukturierte Zusammenarbeit" der EU-Mitgliedstaaten im Wehrbereich (PESCO) ist auf den Weg gebracht. Für den Verteidigungsfonds sind im Haushaltsentwurf der EU von 2021 bis 2027 insgesamt 13 Milliarden Euro vorgesehen, um damit grenzübergreifende Rüstungsprojekte mit einem Zuschuss von 20 Prozent zu fördern. Das würde Beschaffungsausgaben von bis zu 65 Milliarden Euro generieren. Die Vorsitzende der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, strebt sogar einen 100 Milliarden Euro umfassenden EU-Verteidigungsfonds an.

Im Rahmen von PESCO haben sich 25 Mitglieder bisher auf 47 militärische Projekte verständigt. Ein Großprojekt ist die zehn Tonnen schwere und bewaffnete Eurodrohne, bei deren Herstellung Airbus mit einem Anteil von etwa 50 Prozent führend ist. Neben Deutschland und Frankreich haben inzwischen auch Italien und Spanien konkretes Interesse an der Beschaffung der Eurodrohne bekundet. Im Gespräch sind bislang insgesamt 63 Eurodrohnen, für die die Industrie 9,8 Milliarden fordert, während die Regierungen sechs bis sieben Milliarden Euro bieten.


Luftkampfsystem FCAS als "Leuchtturmprojekt"

Herzstück der gemeinsamen Aufrüstung ist das Luftkampfsystem FCAS (Future Combat Air System), welches von 2040 an einsatzfähig sein soll. Das Rüstungsprojekt ist weit mehr als nur ein Kampfflugzeug der neuen Generation, da es sich um ein Gesamtsystem handelt. Eurofighter und Rafale werden in 20 Jahren ausgedient haben und sollen durch eine Neuentwicklung abgelöst werden, die als "System der Systeme" bezeichnet wird, weil Waffen in der Luft, im Wasser und an Land wie auch in Weltraum und Cyberraum zusammengeführt werden. Dieser Verbund soll ein bemanntes oder unbemanntes Kampfflugzeug, Kampfdrohnen, einen Drohnenschwarm, Aufklärungs-, Transport - und Tankflugzeuge, Satelliten, AWACS-Maschinen und Schiffe umfassen.

Bei der Entwicklung von Drohnenschwärmen, die nach Einschätzung von Experten künftig kriegsentscheidend sein könnten, sind die USA und China führend. Airbus, das im Rahmen der Kooperation dafür zuständig ist, hat Drohnenschwärme bereits 2018 über der Ostsee getestet. Sie sollen bewaffnet werden und möglicherweise schon Mitte des kommenden Jahrzehnts einsatzbereit sein. Diese Drohnen können gut einen Meter groß oder kleiner als Tennisbälle sei, fliegen in Formationen zu Hunderten oder Tausenden und agieren mit Hilfe künstlicher Intelligenz als autonome Schwärme. Sie können aufklären, Angriffsziele markieren, Räume überwachen und sperren oder in gegnerisches Gebiet einsickern, um dort in mehreren Wellen als fliegende Bomben anzugreifen.

Nach Schätzungen aus der Branche wird das Projekt FCAS einen Umsatz von 500 Milliarden bringen, das Fünffache des bislang größten europäischen Rüstungsprojekts in Gestalt des Eurofighters. Allein für die FCAS-Entwicklung werden Kosten von 80 bis 100 Milliarden Euro genannt, wobei manche Experten auch Beträge bis zu 300 Milliarden Euro nicht ausschließen. Führt man sich vor Augen, dass Airbus und Dassault zusammen gegenwärtig zwölf bis dreizehn Milliarden Euro mit Rüstung umsetzen, wird deutlich, welch enorme Zuwächse sich die Rüstungskonzerne von diesem Projekt versprechen. [2]

Das Projekt war im Sommer 2019 von Deutschland, Frankreich und Spanien als drittem Partner besiegelt worden, wurde dann aber durch heftige Verteilungskämpfe verzögert. Der Bundestag gab schließlich 77,5 Millionen Euro für den Bau eines Prototypen frei, womit nach monatelangem industriepolitischen Streit mit Frankreich eine wichtige Hürde genommen war. Die Federführung bei der Entwicklung des Kampfjets hat der französische Rüstungskonzern Dassault, der dabei mit dem Flugzeugbauer Airbus zusammenarbeitet. Der Motor wird von dem französischen Unternehmen Safran und dem Münchner Triebwerkshersteller MTU entwickelt.

Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer unterzeichnete Ende 2019 in Paris mit ihrer französischen Kollegin Florence Parly und dem spanischen Staatssekretär für Verteidigung, Angel Olivares, eine Vereinbarung für die Entwicklung eines Prototypen für ein neues Kampfflugzeug. "Wir wollen in Europa mit Blick auf die Verteidigungsanstrengungen der Zukunft den Weg gemeinsam gehen", sagte Kramp-Karrenbauer damals. "Hinter einem solchen Waffensystem verbirgt sich immer mehr als Technik, es verbirgt sich die gemeinsame Anstrengung, der gemeinsame politische Wille, das gemeinsame strategische Verständnis." Das Projekt sei angetrieben von einer starken deutsch-französischen Kooperation, aber auch europäisch, wie die Unterzeichnung Spaniens zeige. Parly betonte, dass es sich um ein ehrgeiziges Projekt handele, das auch den Willen für eine gemeinsame europäische Verteidigung unterstreiche.


Umlastung in andere Haushaltsposten

Noch sind die bislang für das FCAS-Projekt aufgewendeten Gelder relativ überschaubar, denn Deutschland und Frankreich haben zusammen erst 215 Millionen Euro eingebracht. Das würde sich jedoch in der nun anstehenden Projektphase 1B entscheidend ändern, da der Bau eines Demonstrators als Vorstufe eines Prototyps, dessen Fertigstellung aktuell für 2027 vorgesehen ist, demgegenüber bereits sehr kostspielig wäre. Wenngleich nach bisheriger Planung mit dem Erstflug nicht vor 2035 gerechnet wird und erste Auslieferungen frühestens ab 2040 stattfinden sollen, geht es nun um eine Weichenstellung. Im April haben die beiden ausführenden Rüstungskonzerne Dassault Aviation und Airbus Defence and Space ihren Regierungen einen Plan auf den Tisch gelegt, der mit einem Kostenpunkt von rund neun Milliarden Euro den Bau eines flugfähigen Prototyps vorsieht. Soll der Zeitplan eingehalten werden, müsste der Bundestag noch in dieser Legislaturperiode einen Finanzierungsplan freigeben, also in der 25. Kalenderwoche ab dem 21. Juni die Gelder für die nächste Projektphase bewilligen. Andernfalls droht eine massive Verzögerung, da die parlamentarische Sommerpause folgt, bei der Bundestagswahl eine veränderte politische Konstellation ans Ruder kommen könnte und im Anschluss daran bereits der Wahlkampf in Frankreich ansteht.

Das Budget für Phase 1B des FCAS-Programms betrifft die Jahre 2021-2024, doch herrscht in den Medien offensichtlich Verwirrung darüber vor, von welchem konkreten Betrag eigentlich die Rede ist. Je nach Quelle werden zwischen 2,5 und 4,5 Milliarden Euro genannt, wobei die zuverlässigsten Angaben etwa in der Mitte und damit bei 3,5 Milliarden Euro liegen, von denen 990 Millionen Euro auf Frankreich, 970 Millionen auf Deutschland und 940 Millionen auf Spanien entfallen sollen. Mit dieser obskuren Ungewissheit nicht genug, herrscht augenscheinlich erschreckende Unkenntnis über den politischen Sprachgebrauch. So schrieben der Deutschlandfunk und die FAZ, die Abgeordneten sollten "über eine Vorlage in einer Höhe von 25 Millionen Euro beraten". Tatsächlich handelt es sich jedoch um eine sogenannte 25-Millionen-Euro-Vorlage, weil der Antrag diesen Betrag übersteigt und deshalb grundsätzlich noch einmal separat von Verteidigungs- und Haushaltsausschuss bewilligt werden muss.

Es bedarf keiner besonderen Rechenkünste, um sich zu vergegenwärtigen, dass die immensen Kosten der ambitionierten Rüstungsprojekte selbst den wachsenden Verteidigungsetat gravierend ausplündern würden. Daher kommt die Idee nicht wie ein Blitz aus heiterem Himmel, dafür auf den allgemeinen Haushalt zurückzugreifen. Ende Januar 2021 schlug der CSU-Bundestagsabgeordnete Reinhard Brandl, Mitglied im Verteidigungs- und Haushaltsausschuss, erstmals öffentlich vor, die Entwicklung des Rüstungsprojektes doch aus dem Haushalt des Wirtschafts- oder Forschungsministeriums zu finanzieren, um so seinen reibungslosen Fortgang zu gewährleisten. Ins selbe Horn stieß Generalinspekteur Eberhard Zorn und nun macht sich Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer daran, das bislang Undenkbare mit nackter Erpressung durchzusetzen. Mit dieser Offensive hat sie Parlamentarier aus CDU und SPD derart gegen sich aufgebracht, dass Insider offenbar davon ausgehen, dass sich Kramp-Karrenbauer selbst bei einem Wahlsieg der Union nicht im Amt halten könnte.

Ungeachtet gewaltiger Zuwächse in den letzten Jahren reicht der Haushalt des Verteidigungsministeriums nach Auffassung der Ministerin nicht aus, um alle gewünschten Vorhaben finanzieren zu können. Deshalb hat sie dem Bundestag sowohl eine Liste mit 51 Vorhaben zur Abstimmung zugeleitet, für die Gelder hinterlegt sind, als auch eine zweite Aufstellung mit 15 weiteren Projekten, für die das nicht der Fall ist. Dazu zählen die Kosten der nächsten Schritte bei der Entwicklung eines deutsch-französischen Kampfjets (FCAS), eines deutsch-französischen Kampfpanzers sowie bei der gemeinsamen Entwicklung von U-Booten mit Norwegen. Anstatt dem jeweiligen Projekt wie üblich den Titel aus dem Verteidigungshaushalt zuzuordnen, wurde bei den besagten 15 Vorhaben lediglich in Klammern "Bundeshaushalt" dahinter gesetzt.

Indessen sind auf dieser Liste nicht finanzierbarer Projekte sogar Vorhaben aufgeführt, die bislang als abgesichert galten. Das brachte parteiübergreifend CDU- und SPD-Abgeordnete auf die Palme, die keinen Hehl aus ihrem Unmut machten, mangelnde Kommunikation beklagten und an die Mitsprache des Bundestages bei den 25-Millionen-Euro-Vorlagen erinnerten. Trotz dieser Warnung bekräftigte Kramp-Karrenbauer noch einmal ihre Absicht, europäische Rüstungskooperationsprojekte aufgrund ihrer industriepolitischen Bedeutung per Umlastung im Haushalt auf Biegen oder Brechen durchzusetzen. [3]


Konkurrenzkämpfe der Projektpartner

Und das sind keineswegs die einzigen Turbulenzen, welche die Protagonisten des beispiellosen Megaprojekts abzuwettern trachten. Andere EU-Länder warnen davor, eine strategische Industriepolitik im Rüstungssektor bilateral zwischen Berlin und Paris zu betreiben. Dies werde nicht zu einer europäischen Zusammenarbeit führen, zumal andere Länder bessere Alternativen finden könnten. Italien und Schweden haben denn auch eine Gemeinsame Absichtserklärung zum Bau des britischen Kampfjets "Tempest" unterzeichnet. Die konkurrierende Entwicklung zweier ambitionierter Großprojekte erhöht die Entwicklungskosten und das Risiko des Scheiterns, weshalb bereits ein Zusammengehen von FCAS und Tempest gefordert wurde.

Das mutet jedoch illusorisch an, da Frankreich und Deutschland selbst ihrem Juniorpartner Spanien kaum mehr als die Krümel vom Tisch übrig lassen. Spanien trat zwar bereits im Februar 2019, kurz nachdem die Konzeptstudie auf den Weg gebracht wurde, offiziell dem Programm bei, hatte aber im Grunde kaum etwas zu sagen. Die wesentlichen Entscheidungen über die Architektur des Systems wie auch über die involvierten Unternehmen wurden in Paris und Berlin getroffen, für spanische Unternehmen bleiben lediglich Sensorik und Tarnung (Indra Sistemas und Airbus Esp) übrig. Diese Konstellation dürfte kaum geeignet sein, weitere Partner ins FCAS-Boot zu holen.

Davon abgesehen haben Deutschland und Frankreich alle Hände voll zu tun, ihre eigenen Konkurrenzkämpfe nicht eskalieren zu lassen. Sie sind sich zwar darüber einig, dass ihnen zusammen das weitaus größte Stück vom Kuchen zusteht. Damit enden aber auch schon die Gemeinsamkeiten und weichen einem erbitterten Hauen und Stechen um die konkreten Details, da beide Seiten fürchten, von der jeweils anderen über den Tisch gezogen zu werden. Weitere Sprengkraft entwickeln Fragen hinsichtlich der atomaren Bewaffnung oder künftiger Exporte des Systems, wo gegenwärtig noch unterschiedliche Auffassungen vorherrschen.

In Frankreich zählen Flugzeuge von Dassault seit den 1930er-Jahren zum Rückgrat der Streitkräfte. Mit Mirage, Super Etendard und Rafale hat das Unternehmen mit seinen heute mehr als 13.000 Beschäftigten mehrere Generationen von Kampfjets im Alleingang entwickelt. Allerdings sollte schon das aktuelle Modell Rafale ursprünglich in einem Gemeinschaftsprojekt unter anderem mit Großbritannien und Deutschland entstehen. Wenige Monate nach Vertragsunterzeichnung Ende 1984 scheiterte das Vorhaben jedoch am Streit über Ausstattung, Systemführerschaft und Arbeitsanteile. Frankreich entwickelte fortan mit der Rafale auch die Kampfflugzeuge der vierten Generation wieder im Alleingang, während die verbliebenen Partner gemeinsam am Konkurrenzprojekt Eurofighter arbeiteten.

Der wegen hoher Entwicklungskosten und dem begrenzten Bedarf der eigenen Streitkräfte riskante Ausstieg der Franzosen war nicht zuletzt der Hoffnung auf einen Exportschlager geschuldet. Doch nach der Indienststellung in der französischen Luftwaffe dauerte es 15 Jahre, bis die erste Rafale aus dem Ausland bestellt wurde. Und obgleich die Verkäufe seither zugelegt haben, blieben die hohen Erwartungen unerfüllt. Daher wäre ein weiterer Alleingang technisch möglich, aber finanziell und politisch eher nicht vertretbar. Da Frankreich unter einer hohen Schuldenlast von derzeit 116 Prozent des BIP ächzt, sind die finanziellen Spielräume eng. In der Politik genießt FCAS daher weithin Unterstützung, zumal es anders als im Bundestag in der französischen Nationalversammlung keinen nennenswerten Widerstand gegen das milliardenschwere Projekt gibt. [4]

Allerdings ist auf französischer Seite der Argwohn nicht ausgeräumt, die deutsche Konkurrenz lege es nicht zuletzt darauf an, sich in jedem Fall technologisches Know-How unter den Nagel zu reißen. Dassault hält sich für das einzige Unternehmen Europas, das ohne Hilfe ein modernes Kampfflugzeug bauen kann, während Airbus wichtige Bestandteile wie die Flugsteuerung oder die Tarnkappen-Technologie nicht beherrsche. In einem Gemeinschaftsprojekt fürchtet Dassault daher, mehr zu verlieren als zu gewinnen. Auch in Militärkreisen ist die Befürchtung nicht ausgeräumt, es könnte technologisches Wissen für ein Projekt verschleudert werden, das womöglich in wenigen Jahren scheitert.


Deutsches Muskelspiel beim Armdrücken

Umgekehrt wird aus deutscher Sicht die französische Führungsrolle bei FCAS beklagt, da nicht auszuschließen sei, dass Frankreich und Dassault das bei der Entwicklung des Kampfflugzeugs entwickelte Know-how monopolisieren könnten. Öffentlichkeitswirksam wurde der Airbus-Betriebsrat mit einer Erklärung vorgeschickt, der geplante Demonstrator werde auf Rafale-Basis entwickelt und gebaut. Damit würde die deutsche Luftfahrtindustrie inklusive der Zulieferbetriebe kurzfristig ins Abseits gestellt, langfristig wäre dies wohl das Aus der Branche hierzulande.

Um den Dampf aus dem Kessel zu lassen und die nahende Abstimmung im Bundestag samt dessen Zustimmung nicht zu gefährden, hieß es zwischenzeitlich, die Kontrahenten hätten sich auf eine Lösung geeinigt. Daher könne das Verteidigungsministerium dem Parlament nun einen Finanzierungsantrag vorlegen. Nach intensiven Gesprächen auf Augenhöhe sei es den Partnern Deutschland, Frankreich und Spanien gelungen, die Arbeitspakete in Qualität und Quantität fair aufzuteilen. Somit hätten sie zur bruchfreien Fortführung des trinationalen Projekts eine grundsätzliche Einigung zum weiteren Vorgehen erzielt. Damit sei eine wesentliche Voraussetzung für die parlamentarische Befassung mit einer 25-Millionen-Euro-Vorlage in der 25. Kalenderwoche zur Fortsetzung des Projekts geschaffen.

Ein Ende der Kontroverse war das aber nicht, wurde doch Anfang Juni ein internes Bundeswehr-Papier publik, das Spiegel Online zugespielt worden war. Demnach kommen Experten des Koblenzer Beschaffungsamts der Bundeswehr in einer geheimen Stellungnahme für das Verteidigungsministerium zu dem Schluss, dass der Vertrag mit Frankreich und Spanien "aus technisch-wirtschaftlicher Sicht nachverhandelt werden muss". In seiner jetzigen Form sei der Vertrag "nicht zeichnungsreif", da mit ihm "Strukturen und Regeln" fortgeschrieben würden, die "nicht im deutschen Interesse seien und nahezu ausschließlich französischen Positionen genügten. Damit sei die "französische Dominanz im Programm sehr stark verankert".


Selbstermächtigung gegen Waffengewalt

Vor vier Jahren haben Macron und Merkel das aberwitzig anmutende Rüstungsvorhaben in die Welt gesetzt. Vor zwei Jahren spielte auf der Luftfahrtschau in Paris das sonnige Wetter mit, als die Plane von einem FCAS-Modell gezogen wurde. Der französische Präsident und die damalige deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen schauten mit Wohlgefallen auf die schlanken Kurven der Kampfjet-Attrappe. Heute spricht vieles dafür, dass es sich um blankes Wunschdenken handelt, da allein das Future Combat Air System als größtes und teuerstes Rüstungsprojekt der nächsten Jahrzehnte absolut überambitioniert konzipiert ist und demnach an politischen, technologischen und finanziellen Hürden scheitern müßte. Darauf zu bauen, dass die mannigfaltig aufbrechenden Widersprüche zwischen den Partnern des Projekts oder die Kontroverse zwischen dem Verteidigungsministerium und Teilen des Parlaments das Schicksal des FCAS besiegeln werden, wäre jedoch ein denkbar schlechter Rat.

Denn in den kommenden Wochen gehen die Protagonisten futuristischer Waffengewalt daran, ein "Leuchtturmprojekt" durchzusetzen, dass schon nach der bevorstehenden Zwischenetappe als "too big to fail" mit Zähnen und Klauen verteidigt werden könnte. Sind die Milliarden erst einmal beschlossen und durch eine Umverteilung im Haushalt festgezurrt, rückt eine Stornierung durch künftige Bundesregierungen in weite Ferne. Wie bei allen Großprojekten drohen die ohnehin horrenden Kosten unaufhaltsam zu eskalieren, doch die Einwände einer viel zu spät aufgewachten Öffentlichkeit wirkungslos zu verhallen. Die entscheidende Weichenstellung findet jetzt statt, wobei schon eine nennenswerte Verzögerung ein Erfolg wäre. Es handelte sich dennoch um einen Pyrrhussieg, käme dabei in erster Linie die Argumentationslinie zum Tragen, das Vorhaben sei durchaus wünschenswert, müsse aber zunächst noch nachgebessert werden, um deutschen Interessen umfassend zu genügen.

Zwar drängt sich angesichts des monströsen Rüstungskomplexes dessen Charakterisierung als deutscher Größenwahn auf, doch gilt es zu bedenken, dass diese Projektion die existierende militaristische Logik eben in aller Konsequenz auf die Spitze treibt. In zehn Jahren soll die Bundesrepublik dank ihrer ökonomischen Stärke in Europa auch militärisch die Nummer eins sein. Künstliche Intelligenz und Killerrobotik, verbaut in neuen Generationen von Kampfflugsystemen, Kampfpanzern und Artilleriesystemen, soll Deutschland zur europäischen Führungsnation machen und darüber hinaus seine Weltmachtambitionen durchsetzen. Gelingt es dieser Maßgabe zufolge nicht, sich im Wettlauf um die höchstentwickelte Militärtechnologie in einem gewaltigen Sprung an die Spitze zu setzen, folgt unvermeidlich der Sturz in den Abgrund. In diesem Entwurf existiert nur Aufstieg oder Niedergang, Herrschen oder Beherrscht werden, eine friedliche Koexistenz ist ausgeschlossen.

Man mag diese Ratio absurd nennen, doch wie es weiter nachzufassen gilt, ist die als vorgeblicher Gegenentwurf vielzitierte multipolare Welt in der Tat nicht durchzusetzen, solange die vorherrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse eine endlose Expansion des Raubes erzwingen. Schwerter zu Pflugscharen zu machen, reicht dann nicht hin, wenn die Eigentumsfrage unberührt bleibt und daraus der nächste agroindustrielle Komplex erwächst. Daher bleibt die Antikriegsbewegung ein Papiertiger, sofern sie den Frieden beschwört, aber dabei die Allgegenwart unablässigen Krieges durch Waffen und Hunger, Armut und Krankheit, Ausbeutung und Verfügung nicht in Gänze und Konsequenz wahrhaben will. Es bedarf also schon wirkmächtigerer Gründe und Maßnahmen, FCAS & Co. den Garaus zu machen, als nur an Einsicht zu appellieren oder zu hoffen, dass die machtbewussten, kriegstreibenden und profitlüsternen Allianzen über die eigenen Beine unausgesetzter Konkurrenzkämpfe stolpern.


Fußnoten:

[1] www.heise.de/tp/features/Das-groesste-europaeische-Ruestungsprojekt-ueberhaupt-5042688.html

[2] www.jungewelt.de/artikel/372725.eu-rüstungspolitik-milliarden-für-tötungswerkzeug.html

[3] www.heise.de/tp/features/Leuchtturmprojekt-auf-der-Kippe-Luftkampfsystem-FCAS-6063408.html

[4] www.deutschlandfunk.de/ruestungsprojekt-fcas-das-zaehe-ringen-um-europas-neue.724.de.html

15. Juni 2021

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 22. Juni 2021


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