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KOMMENTAR/278: Olympia - ein Reglementierungsvorwandsprojekt ... (SB)



NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) und die Spitzen der 16 Bewerberstädte für Olympische und Paralympische Spiele an Rhein und Ruhr haben sich für ein Festhalten an einer Bewerbung für Olympische Sommerspiele ausgesprochen. "Für uns ist die Bewerbung ein Dekadenprojekt", lautet nun die Parole, nachdem die privatwirtschaftlich finanzierte und politisch unterstützte Bewerbung der Initiative Rhein Ruhr City für die Sommerspiele 2032 so gut wie gescheitert ist. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) hatte sich entschieden, direkte Verhandlungen mit dem Bewerber Brisbane (Australien) aufzunehmen und somit die anderen Bewerber für 2032 nicht weiter zu berücksichtigen. Doch es ist keineswegs ausgemacht, dass die erweiterte, auf jahrelange Dauerbeschallung angelegte Werbekampagne der Olympialobbyisten auch zünden wird, etwa wenn eine Bürgerbefragung zum Ja oder Nein ansteht. In Anbetracht der gravierenden Langzeitfolgen, die die Covid-19 Pandemie für sämtliche Bereiche des gesellschaftlichen Lebens mit sich bringt, könnte dem Volk die Lust auf sündhaft teure Zirkusspiele und massenmedial inszenierte Wir-Gefühle auch restlos vergangen sein.

Laut Eigenerklärung wollen die PolitikerInnen den Wir-Verstärker Sport nutzen, "um in unserer Region und in ganz Nordrhein-Westfalen Zukunftsaufgaben besser zu bewältigen und gemeinsame Lösungen zu finden, für den Sport - aber auch weit darüber hinaus in Gesellschaft und Wirtschaft. Im Fokus stehen dabei die Themen vernetzte Mobilität, Digitalisierung und die Modernisierung unserer Infrastruktur". [1]

Beim letzten Megaevent in Deutschland, der Fußball-Weltmeisterschaft 2006, war die Berliner Republik unter dem Slogan "Die Welt zu Gast bei Freunden" praktisch zu einem Gefahrenraum mit Spielen im Hochsicherheitstrakt umfunktioniert worden. "Selten zuvor haben sich Repräsentanten von Regierung und etablierten Parteien derart schamlos und offen für die Beteiligung des Militärs an polizeilichen Aufgaben im engeren Sinne eingesetzt. Völlig selbstverständlich schien es ihnen auch, eine viertel Million Menschen durch den Verfassungsschutz auf ihre Zuverlässigkeit überprüfen zu lassen. Zudem ist die WM ein Testlauf für die diversen neuen Überwachungstechniken - vom Funkchip auf der Eintrittskarte bis zur Videoüberwachung auf öffentlichen Plätzen", informierten seinerzeit besorgte BürgerrechtlerInnen. [2]

Ähnliches stünde auch für Olympische und Paralympische Spiele in NRW zu erwarten, ohne dass in den Medien bislang auch nur ein Wort darüber verloren wurde, was sich hinter wohlfeilen Schlagworten wie "vernetzte Mobilität", "Digitalisierung" oder "Modernisierung der Infrastruktur" noch alles verbergen mag. Über die gesellschaftlichen Auswirkungen sicherheitsstaatlicher Ermächtigungen, die untrennbar mit politischen oder der Unterhaltung dienenden Großveranstaltungen verbunden sind, wird, wenn überhaupt, immer nur sehr spärlich berichtet. Dies trifft insbesondere in Corona-Zeiten zu, in denen bis vor kurzem noch unvorstellbare Einschränkungen des öffentlichen Lebens, von Grund- und Freiheitsrechten durchgesetzt wurden. Erst kürzlich warnte Dr. Rolf Gössner, Publizist für die Internationale Liga für Menschenrechte und einer der Mitherausgeber des "Grundrechtereports", dass der Ausnahmezustand im modernen Präventionsstaat, wie er sich hierzulande schon seit Längerem entwickelt habe, dazu tendiere, auch nach erfolgter Krisenbewältigung zum rechtlichen Normalzustand zu mutieren. "Dies kann zu einer gefährlichen Beschleunigung des längst eingeschlagenen Kurses in Richtung eines Sicherheits-, Kontroll- und Überwachungsstaats führen - eines präventiv-autoritären Sicherheitsstaates, der mit der in Corona-Zeiten beschleunigten Digitalisierung von Staat, Gesellschaft und Wirtschaft noch zusätzlich befördert wird." [3]

Zieht man mit Blick auf die Wahrung von Bürgerrechten den aktuellen "Normalzustand" in NRW zu Rate, dann könnte einem angst und bange werden, sollten der Regierung im bevölkerungsreichsten Bundesland jemals die Sommerspiele in den Schoß fallen. Während man sich auf der Vorderbühne als "Sportland Nr. 1" zu profilieren sucht und den "Aufbruch zum Wir" beschwört, wurden auf der Hinterbühne bereits die Weichen für weiterreichende Einschränkungen der Bürgerrechte gestellt. Nach der Verschärfung des Widerstandsparagrafens im Jahr 2017 und der Ende 2018 beschlossenen Änderung des Polizeigesetzes, das die Polizei ermächtigt, schon bei einer "drohenden Gefahr" Personen bis zu 28 Tage einzusperren (zuvor 48 Stunden), erklimmt das neue Versammlungsgesetz einen weiteren Gipfelpunkt präventiv-autoritärer Formation. Nach dem Gesetzentwurf der schwarz-gelben Landesregierung soll es künftig verboten sein, "eine öffentliche Versammlung unter freiem Himmel oder eine sonstige öffentliche Veranstaltung unter freiem Himmel zu veranstalten, zu leiten oder an ihr teilzunehmen, wenn diese infolge des äußeren Erscheinungsbildes 1. durch das Tragen von Uniformen, Uniformteilen oder uniformähnlichen Kleidungsstücken, 2. durch ein paramilitärisches Auftreten oder 3. in vergleichbarer Weise Gewaltbereitschaft vermittelt und dadurch einschüchternd wirkt" [4].

Mit Hilfe dieses "Militanzverbotes" (§18) wäre der Willkür Tür und Tor geöffnet. Beispielsweise könnte damit jedwede Art von Fanmärschen, die meist uniformiert stattfinden, zu Strafverfahren gegen Fußballfans führen. Was wunder, dass Fanhilfen in NRW und die "Landesarbeitsgemeinschaft der Fan Projekte NRW" fordern, den Gesetzentwurf in seiner aktuellen Form zurückzuziehen. Doch nicht nur Fußballfans wären Leidtragende, sondern auch TeilnehmerInnen an politischen Demonstrationen, die in einheitlicher Kleidung auftreten, etwa der Klimagerechtigkeitsbewegung von "Ende Gelände" mit ihren weißen Maleranzügen oder die links-autonome Szene mit ihrer schwarzen Kleidung. Nach dem neuen Gesetz soll zudem die anlasslose Videoüberwachung von Demonstrationen ausgebaut werden. Behörden könnten dann sogenannte Übersichtsaufnahmen, beispielsweise mit einer Drohne oder vom Hubschrauber aus, durchführen.

Darüber hinaus sollen Anmelder und Ordner von Protesten weitreichender als bisher von der Polizei überprüft werden können. So ist auch eine Verlängerung der Anmeldefrist geplant, wodurch zum Beispiel Aktionen bei Arbeitskämpfen nicht mehr kurzfristig angemeldet werden könnten. Laut Gesetzentwurf können DemonstrationsanmelderInnen bestraft werden, wenn Versammlungen nicht so ablaufen, wie in der Anmeldung geplant und mitgeteilt. Zudem kann die Polizei Namen und Adressen von Demo-OrdnerInnen verlangen und einzelne Personen ablehnen. Auch soll der Polizei ermöglicht werden, Kontrollstellen an Versammlungsorten aufzubauen, TeilnehmerInnen zu identifizieren und zu durchsuchen. Durch ein erweitertes "Störungsverbot" könnten außerdem Proteste und Blockaden gegen Naziaufmärsche, ja selbst anlassunabhängige Blockadetrainings, untersagt und mit bis zu zwei Jahren Haft bestraft werden. Und das in einem Bundesland, in dem erst vor wenigen Monaten eine Chatgruppe von 30 Polizisten aufgeflogen war, in der u.a. Hitler-Bilder und Hakenkreuze ausgetauscht worden waren.

Des Weiteren läuft seit Anfang des Jahres bei den Polizeibehörden in Dortmund, Düsseldorf und Gelsenkirchen ein Pilotprojekt zum Einsatz von Elektroschockpistolen, sogenannte Taser. Über die Einführung der Distanzelektroimpulsgeräte will die NRW-Polizei, die Dank der Laschet-Regierung die Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte wieder abgeschafft hatte, im kommenden Jahr entscheiden. Bürgerrechtsorganisationen lehnen den Einsatz von Tasern wegen einer Reihe von Todesfällen, die im Zusammenhang mit dem Einsatz der gefährlichen Waffe stehen, ab.

Wenn man sich die polizeilichen und sicherheitsstaatlichen Begehrlichkeiten vor Augen führt und dazu noch in die jovial lächelnden Gesichter all der PolitikerInnen schaut, die mit Hilfe von Olympischen Sommerspielen das "Wir" in der "Metropolregion Rhein-Ruhr" stärken wollen, während sie den Bürgern gleichzeitig die Grund- und Versammlungsrechte abzugraben versuchen, dann mag den einen oder anderen vielleicht eine Ahnung beschleichen, welchen unheiligen Zielen und Zwecken das "Dekadenprojekt" wirklich dient. Wenn jetzt schon das Tragen von Uniformen oder ähnlichen gemeinschaftlichen Merkmalen verboten werden soll, sofern sie dadurch Gewaltbereitschaft vermitteln und somit einschüchternd wirken können - was viel Raum für Interpretationen lässt -, dann wird in NRW nicht bürgerlicher Gemeinsinn oder Demokratiegeist gefördert, sondern jede gemeinschaftliche Versammlung schon dem äußeren Erscheinungsbild nach unter "Militanzverdacht" gestellt. Ob die Bewerbung für die Olympischen und Paralympischen Spiele dabei helfen wird, die geprellte Bevölkerung trotzdem bei Spaß und guter Laune zu halten?

Fußnoten:

[1] https://www.duesseldorf.de/fileadmin/Amt13/presseanhang/2105/210511stk_Anlage.pdf

[2] https://archiv.cilip.de/Hefte/CILIP_083.pdf
Bürgerrechte & Polizei/CILIP 83 (1/2006)

[3] https://hessen.rosalux.de/news/id/43958/dokumentation-grundrechte-und-demokratie-in-zeiten-von-corona. 02.03.2021.

[4] https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMD17-12423.pdf. Drucksache 17/12423. 21.01.2021.

1. Juni 2021


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